STRAWBERRY BUBBLEGUMS

Strawberry Bubblegums

Bildgestaltung: Niklas Lindschau

Mit 17 Jahren erfährt Lucy (Gloria Endres de Oliveira), dass ihre Mutter Paula (Jasmin Tabatabai) früher als Pornodarstellerin gearbeitet hat und sie selbst bei einem Filmdreh gezeugt wurde. Daher erfuhr sie auch nie, wer ihr Vater ist. Wütend macht sich Lucy auf die Suche nach ihrem Erzeuger. Einziger Anhaltspunkt ist Udo (André M. Hennicke), ein abgehalfterter Ex-Pornostar, der in einem tristen Live-Sex-Schuppen in St. Pauli auftritt. Er kommt als Vater nicht in Frage, weil er sich sterilisieren lassen hat. Aber er verfügt noch über beste Kontakte in der Szene. Als Udo dämmert, dass er mit Lucys Hilfe vielleicht einige alte Kontakte wieder aufleben lassen und zurück im Pornofilmgeschäft gelangen könnte, erklärt er sich bereit, dem jungen Mädchen zu helfen…
Quelle: https://www.filmstarts.de/kritiken/242570.html

DE · 2016 · Laufzeit 90 Minuten · Drama, Komödie

Drehbuch: Cherokee Agnew
Regie: Benjamin Teske
Bildgestaltung: Niklas Lindschau
Produktion: Wüste Medien
Verleih: NDR Fernsehen

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Eröffnungsfilm Filmfest Oldenburg 2016; Seymour Cassel Award Internationales Filmfest Oldenburg 2016  · Best Actor für André M. Hennicke; Porn Film Festival Vienna 2018 · Bester Spielfilm

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Tittelbach

Der NDR startet seine Debütstaffel „Nordlichter“ 2016 mit einer echten Überraschung: „Strawberry Bubblegums“ ist eine kurzweilige Komödie, die im Pornofilm-Metier spielt. Schon allein der Ausgangspunkt der Geschichte ist höchst originell: Die junge Lucy findet zufällig heraus, dass ihre altjüngferliche Mutter Paula einst der Pornostar Vicky Venus und sie selbst ein „Arbeitsunfall“ war; nun klappert sie auf der Suche nach ihrem Vater Paulas frühere Kollegen ab. Wie gut bereits das Drehbuch gewesen muss, zeigt sich nicht zuletzt an der – bis in kleinste Rollen hinein – sehr prominenten Besetzung mit u.a. André M. Hennicke, Jasmin Tabatabai, Ronald Nitschke, Michael Lott, Alice Dwyer, Lars Rudolph, Sabin Tambrea.
Endlich mal ein Film für Menschen, die glauben, alles schon zu kennen: Zufällig findet die 17jährige Lucy heraus, dass sie keineswegs von einem schönen Unbekannten am Strand von Sri Lanka gezeugt worden ist, wie ihre Mutter gern erzählt, sondern dass sie ein Unfall war. Schlimmer noch: ein Pornounfall. Von der Vergangenheit ihrer Mutter als Pornostar wusste sie selbstredend ebenfalls nichts. Also macht sie sich auf die Suche nach Udo Ochsenschwanz, Klaus Cocks und Henning Hardcore, den einstigen Filmpartnern ihrer Mutter, um ihren Vater kennenzulernen, und erlebt eine sehr spezielle Variante einer Heldenreise: Lucy im Pornoland.
Allein wegen dieser Grundidee ist „Strawberry Bubblegums“ ein ungewöhnlicher Film, wie er in dieser Form fürs deutsche Fernsehen vermutlich noch nicht gedreht worden ist und wie ihn sich wohl auch nur ein Debüt-Team traut; die Produktion ist im Rahmen der NDR-Reihe „Nordlichter“ entstanden. Das Drehbuch schrieb Cherokee Agnew, Regie führte Benjamin Teske; für beide ist es der erste Langfilm. Wie gut das Buch gewesen sein muss, zeigt schon allein die Riege namhafter Gastdarsteller: Für die Pornomimen konnten unter anderem Michael Lott, Ronald Nitschke und Lars Rudolph gewonnen worden. Auch die beiden wichtigsten Rollen neben Lucy sind markant besetzt: Jasmin Tabatabai spielt ihre Mutter Paula, die einst als Vicky Venus Furore gemacht hat, André Hennicke Paulas früheren Freund Udo, der gemeinsam mit Lucy seine früheren Kollegen abklappert. Hennicke sieht aus wie der späte Iggy Pop und hat sichtbaren Spaß an der Figur des gealterten Pornohengstes, der sein Dasein mittlerweile als King Kong in einer Live-Sexshow fristet und Lucys Ansinnen nutzt, um die alten Kumpane als Geldgeber für ein Endzeitpornoprojekt zu gewinnen.
Die wichtigste Rolle aber wurde Gloria Endres de Oliveira anvertraut, die schon mit ihrem ersten Langfilmauftritt vor drei Jahren einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, als sie in Aelrun Goettes Drama „Ein Jahr nach morgen“ eine jugendliche Mörderin spielte. Sie war dabei bloß in Form eines Handyfilms präsent, aber diese wenigen Aufnahmen genügten für eine Charakterstudie von verstörender Intensität. Einige Filme später ist die Schauspielerin mittlerweile Mitte zwanzig und damit deutlich zu alt für eine Siebzehnjährige, aber das fällt kaum ins Gewicht, zumal sie Lucy mit viel Energie und jugendlicher Ausstrahlung versieht.
Dass „Strawberry Bubblegums“ so komplett aus dem Rahmen des üblichen Fernsehfilms fällt, hängt jedoch vor allem mit dem Einfallsreichtum der Macher sowie ihrem Mut zum Detail zusammen. Während viele Debüts gut und gern auch um 20.15 Uhr laufen könnten (und sollten), würde es in diesem Fall wohl Probleme mit dem Jugendschutz geben. Der Film ist keinesfalls pornografisch, aber Lucys Besuche bei einigen Filmproduktionen lassen kaum noch Raum für erotische Fantasien. Auch die liebevolle Ausstattung mit allerlei Sexspielzeug lässt keine Wünsche offen. Der Film steckt ohnehin voller hübscher Gimmicks. Das bezieht sich auf gestalterische Merkmale – als Kapiteltrenner fungieren die in Neonschriften gehaltenen Künstlernamen der Pornodarsteller – wie auch auf kleine und von Gloria Endres de Oliveira gut gespielte Slapstickeinlagen, wenn Lucy beispielsweise leicht angetrunken bei einer Party das Bad sucht und in der Besenkammer landet. Clever eingefädelt ist auch der Moment, als sie der Vergangenheit ihrer Mutter auf die Schliche kommt: Auf der Suche nach Anregungen für die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule landet Lucy in einer Videothek in der Abteilung für Erwachsene. Dort findet sie eine Videokassette des Films „Vicky sieht’s kommen“; mit Paula in der Hauptrolle. Das Brainstorming für die diversen Pornotitel hat den Beteiligten garantiert einen Riesenspaß gemacht („Spritzgebäck vom Fickolaus“).
Nicht weniger hübsch sind jedoch viele andere Momente, die mitunter etwas vom zentralen Pfad wegführen, aber trotzdem Teil der Handlung sind. Mitten in der Videothekszene gibt es zum Beispiel einen kleinen Exkurs, in dem Lucy im Zuge ihrer Prüfungsvorbereitung die berühmte Szene aus „Basic Instinct“ nachstellt, in der Sharon Stone ihre übereinander geschlagenen Beine öffnet. Den Videothekar Ronnie (Max Mauff), der sie in stiller Verehrung anhimmelt, charakterisiert sie so: Wenn er ein Film wäre, „dann ‚Pretty in Pink’; kein Blockbuster, aber eine Indie-Perle“. Allein dafür werden alle Fans von Molly Ringwald sie lieben. Aber „Strawberry Bubblegums“ – der Titel (Erdbeerkaugummis) bezieht sich auf einen Porno, bei dem Lucy am Schluss beinahe mitgewirkt hätte – ist auch dann liebenswert, wenn man „Pretty in Pink“ (1986) nie gesehen hat, was vermutlich auf einen Großteil der eher jüngeren Zielgruppe dieses Films zutreffen dürfte.
Auch das Handwerk überzeugt; die Musik (Gary Marlowe, Daniel Hoffknecht) zum Beispiel ist richtig gut. Für einen Debütregisseur hat Teske seine Schauspieler zudem ausgezeichnet geführt. Seine Hauptdarstellerin mag in ihrem Eifer manchmal ein wenig über das Ziel hinausschießen, aber da die Komödie auch sonst gern dick aufträgt, passt das gut ins Gesamtbild. Deshalb stört es auch nicht, dass ein Nachtclubauftritt von Sabin Tambrea als melancholischem Transvestiten ebenso zu lang ausgefallen ist wie eine Autoscooter-Szene vor Hollywood-Kulisse, zumal sie das Vorspiel für eine Kirmesromanze ist; die anschließende Liebesszene findet in einem Wagen voller Losbudenkuscheltiere statt. Zum Abschied schenkt Pepe (Schütter), zum Glück nur der Stiefsohn eines weiteren Kandidaten (Nitschke), ihr einen riesigen Teddy, der fortan gemeinsam mit Lucy im Seitenwagen von Udos Motorrad durch Norddeutschland reist. In Erinnerung bleibt auch Eva Nürnberg als Lucys beste Freundin; die junge Schauspielerin ist auch die Hauptdarstellerin der aktuellen Telekom-Kampagne.

(Quelle: tittelbach.tv)