Tatort Norddeutschland – Alles was sie sagen

Tatort Norddeutschland - Alles was sie sagen

Regie: Özgür Yildirim, Editor: Sebastian Thümler

Die Kommissare Thorsten Falke und Julia Grosz überprüfen in Lüneburg die Identität eines Mannes, der verdächtigt wird, Angehöriger einer Miliz gewesen zu sein, die Kriegsverbrechen begangen hat. Im Rahmen der Ermittlungen wird bei einem Zugriff eine Zeugin tödlich verletzt.

Aus Falkes Waffe wurden zwei Schüsse abgefeuert. Er und seine Kollegin Grosz geraten unter Verdacht und müssen sich internen Ermittlungen stellen. Doch es gibt auch andere, die ein Interesse am Tod der jungen Frau gehabt haben. Wurden Falke und Grosz benutzt und sollen sie nun zu Sündenböcken gemacht werden oder ist ihr Einsatz tatsächlich aus dem Ruder gelaufen?

Quelle: https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/sendung/alles-was-sie-sagen-100.html

DE · 2018 · Laufzeit 90 Minuten · Kriminalfilm

Drehbuch: Arne Nolting, Jan Martin Scharf
Regie: Özgür Yildirim
Bildgestaltung: Matthias Bolliger
Film Editing: Sebastian Thümler
Produktion: Wüste Medien GmbH
Sender: NDR

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Kritiken

Auswahl

BERLINER ZEITUNG

Arne Nolting und Jan Martin Scharf, die auch an der Erfolgsserie „Club der roten Bänder“ beteiligt waren, haben ein cleveres Buch geschrieben, das Regisseur Özgür Yildrim souverän umgesetzt hat. Der Krimi wechselte zwischen langen Rückblenden, die abwechselnd aus der Sicht von Falke und Grosz erzählt wurden, und den Verhörsituationen. Dabei durfte sich der Zuschauer nicht auf die meist in düsteren Farben gehaltenen Aufnahmen (Kamera: Matthias Bolliger) verlassen. Das wurde besonders deutlich, wenn die beiden denselben Vorgang schilderten. Die Bilder präsentierten hier oft nur vermeintliche Wahrheiten, die nächste Szene offenbarte, dass es auch alles ganz anders gewesen sein könnte. Skepsis war bis zum überraschenden Ende nötig.

SPIEGEL

Ist Falke ein Vollpfosten und Grosz eine verliebte Gans? Der „Tatort“ erzählt vom Scheitern der Ermittlungen – mit Perspektivwechseln und Wortwitz. Smarter Krimi, in dem jeder jeden aufs Kreuz legt.

Was geht denn bei Falke ab? Erst glaubt der Kommissar, seine Kollegin Grosz beim Flirten mit einem anderen Polizisten gesehen zu haben. „Lauch, Digga!“ raunt er, während er in Spannerhaltung durchs Fenster des billigen Lüneburger Motels das mutmaßliche Liebespaar beobachtet. Später will er auch noch mitbekommen haben, dass Grosz mit dem anderen heftig im Dienstfahrzeug rumgemacht hat, und das ausgerechnet während einer gefährlichen Observation.
So berichtet es Falke jedenfalls dem örtlichen Revierchef, der während eines nächtlichen Verhörs zu rekonstruieren versucht, welche Verfehlungen beim Einsatz der beiden Bundespolizisten in Lüneburg dazu geführt haben, dass eine Zeugin erschossen wurde und ein Verdächtiger fliehen konnte. Der Chef macht Druck: „Bis die Sonne aufgeht, will ich vor die Presse.“ Das Problem ist, dass Kollegin Grosz in einem weiteren Verhör eine ganz andere Version der Geschichte erzählt, in der Falke wie ein Anfänger rüberkommt.
Dabei waren die aus dem Ruder gelaufenen Ermittlungen anfänglich eine Routineangelegenheit: Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz) waren aus Hamburg angereist, um einen Flüchtling zu überprüfen, bei dem der Verdacht bestand, er sei im Libanon an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. Der Mann galt als mustergültig integriert und unterrichtete an einer Schule Deutsch für andere Flüchtlinge.
Doch als die beiden Polizisten im Klassenzimmer erscheinen, flieht der Libanese, und die Kollegen vor Ort zeigen erstaunlich wenig Interesse daran, ihn einzufangen. Streckenweise wirkt es sogar so, als ob der Flüchtige über Information verfügt, die nur von der örtlichen Polizei stammen können, da er seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus zu sein scheint. Gibt es in dem Lüneburger Revier einen Maulwurf? Ist Falke wirklich ein Vollpfosten? Und Grosz eine verliebte Gans?

Großes Thema, kleines Genre-Stück
Die „Tatort“-Folge „Alles was Sie sagen“ ist ein schneller, smarter süffiger Krimi geworden, in dem einer den anderen aufs Kreuz legt. Einer der beiden Ermittler muss während des Verhörs lügen, vielleicht tun es sogar beide, aber was könnte der Grund dafür sein? Und wie passt der Flüchtlingshintergrund zu diesem offensichtlich von privaten Interessen geleiteten Getrickse?
Regisseur Özgür Yildirim gehört zu jenen jüngeren Filmemachern, die große Themen gekonnt als kleine Genrestücke anlegen, ohne dass seine Arbeiten dabei zynisch wirken. Authentisch nennt man solche Filme gerne in öffentlich-rechtlichen Fernsehredaktionen – obwohl darin vor allem mit popkulturellen Mythen gespielt wird. Die Figuren wirken immer etwas größer als im realen Leben, so als ob sie sich als für einen Hip-Hop-Track inszenieren würden. Für einen älteren Falke-„Tatort“ inszenierte Yildirim etwa als einer der ersten das Thema deutsche IS-Kämpfer für einen Buddy-Thriller im Hip-Hop-Slang, und das funktionierte erstaunlich gut.
Auch die neue Folge ist randvoll gepackt mit starken Sprüchen. Gleichzeitig wird der Trickser-Plot (Buch: Arne Nolting und Jan Martin Scharf) souverän auf gleich mehreren Ebenen in Rückblenden ausgebreitet; der Zuschauer muss sich mit Informationen zu drei offenen Fragen durch den Fall schlagen, die aus der Sicht von unterschiedlichen Figuren mit unterschiedlichem Interesse behandelt werden: die Identität des Geflüchteten, der Maulwurf bei der Polizei und das Gegeneinander-Agieren der beiden Ermittler – all diese Aspekte hält der Krimi bis zum Schluss in der Schwebe.
Yildirim findet stimmige Bilder für die Brüchigkeit der Erzählung: Er zeigt die Charaktere durchs Display der Verhörkamera, durch Gitter von Industrieanlagen, durch flackernde Überwachungsapparaturen.
Formen von Spiegeln und Zerrspiegeln sind hier also ständig präsent und erinnern das Publikum daran, dass es sich nicht auf die Erzählung verlassen kann. Dass es trotzdem dran bleibt, liegt auch an Möhring und Weisz. Paradox: Im forcierten Gegeneinander ihrer Figuren harmonieren sie besser denn je.